Bindungsstörung
„Ein Ort der Glückseligkeit“
Von Geburt an wuchs Daniel* (18) in einer Pflegefamilie auf. Er war Zehn, als seine Pflegemutter ihn im Mai 2013 erstmals einem Psychiater vorstellte: „aufgrund einer emotionalen Belastung sowie aggressiv-impulsiven Symptomen“, die sich trotz Psychotherapie zugespitzt hatten.
Der Psychiater diagnostizierte eine „Bindungsstörung mit Enthemmung“ (F94.2) sowie, als „sekundäre Folge“, eine „hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens“ (F90.1). Daraufhin behandelte er den Jungen „mehrdimensional“: Über psychotherapeutische Einzelsitzungen hinaus nahm Daniel an einer „Konzentrationsgruppe“ sowie einer „sozialen Kompetenzgruppe“ teil. Und er erhielt Psychopharmaka.
Wie der Psychiater in einem Bericht einräumt, reichten diese ambulanten Maßnahmen nicht aus, im Gegenteil: Daniel legte „ein besonders regelloses und aggressives Verhaltensmuster“ an den Tag.
Daraufhin veranlasste ein Jugendamt, dass Leon in einem Kinderheim untergebracht wurde, wo er eine sonderpädagogische Schule besuchte. Über drei Jahre verbrachte er dort, vom August 2014 bis Dezember 2017. In dieser Zeit stabilisierte er sich zunehmend. In seiner Heimgruppe galt er als gut integriert, Konflikte und Regelverstöße ließen sich gut auffangen.
Erneut in eine schwere Krise geriet Daniel, als er Ende 2017 seine leiblichen Eltern besuchte. Dabei stellten sie ihm in Aussicht, ihn zu sich zu holen. „Dies“, so schreibt der Psychiater, „löste bei Daniel Verunsicherungen aus und weckte seinen tiefen Wunsch nach Nähe zu seiner Herkunftsfamilie. Fortan zeigte sich der Patient sowohl in der Heimgruppe als auch in der Schule oppositionell. Mehrmals lief er von der Schule weg und hielt sich nicht an Regeln“, woraufhin er vom Unterricht ausgeschlossen wurde. Im März 2018 musste er in ein anderes Heim wechseln. Bald darauf holte ihn die Pflegefamilie wieder zu sich. Der behandelnde Psychiater begrüßte dies ausdrücklich: „Aufgrund der bestehenden Bindungsproblematik sind für Daniel stabile Beziehungspersonen und korrigierende Bindungserfahtungen besonders wichtig.“
Mit dieser Vorgeschichte kam Daniel im Herbst 2019 in ein AUSWEGE-Camp. Diese Therapiewoche tat ihm außerordentlich gut, wie seine Pflegemutter, eine Sozialpädagogin, am Ende in einem Fragebogen festhielt. „Bereits in der Vorstellungsrunde“ am allerersten Camptag „öffnete er sich. Die ganze Zeit wirkte er entspannt, fröhlich und interessiert. Wutausbrüche hatte er hier kein einziges Mal. Mit seinen Problemen ging er offen um – sowohl bei den Therapeuten als auch gegenüber den Therapeuten. Was ich inständig gehofft habe, ist hier tatsächlich eingetreten.“ Das AUSWEGE-Camp „war fantastisch“, so schwärmte sie. „So hohe Energie, so große Wertschätzung. Viele Anregungen, tolle Vorträge. Die Woche war, als wäre man auf einem anderen Stern. Ein Ort der Glückseligkeit. Es fällt schwer, ihn zu verlassen. Aber die Zeit bleibt im Herzen – für immer.“
Auswege bei psychischen Leiden: erst dank Profis?
Sowohl in den AUSWEGE-Camps als auch in den Praxen des AUSWEGE-Netzwerks treffen Patienten nur selten professionelle Psychotherapeuten oder gar Fachärzte für Psychiatrie an. Wie können psychisch Belastete dort überhaupt Hilfe erwarten? Wen das wundert, der kennt nicht den erstaunlichen Forschungsstand: Bei seelischen Leiden erreichen einfühlsame, kommunikativ kompetente, lebenserfahrene Laien demnach im allgemeinen keineswegs weniger als studierte Psycho-Profis – auch bei Bindungsstörungen. Belege und Gründe dafür stellt der AUSWEGE-Gründer Dr. Harald Wiesendanger in seiner 10-bändigen Schriftenreihe Psycholügen vor, insbesondere in Band 3: „Seelentief - Ein Fall für Profis?“ (2017)
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