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Intaktes soziales Umfeld


Vom ersten bis zum letzten Atemzug sind wir soziale Wesen

Keiner von uns lebt auf seinem eigenen Planeten. Wen müsste man auf diese Banalität noch aufmerksam machen? Offenbar einen Großteil der westlichen Schulmediziner. Denn überwiegend betrachten und behandeln sie ihre Patienten noch immer so, als gäbe es kein soziales Umfeld, das über Gesundheit und Krankheit mitentscheidet. Auch insofern böte sich der Besuch eines „Auswege“-Therapiecamps als vorzügliche ärztliche Fortbildungsmaßnahme an.

Vom ersten bis zum letzten Atemzug sind wir soziale Wesen: eingebunden in Systeme, in denen jedes Element jedes andere beeinflusst, direkt oder mittelbar. Was auch immer wir tun oder unterlassen: Wir wirken in sie hinein, und sie wirken auf uns zurück. Unentwegt beeinflussen, prägen und verändern sie uns, ebenso wie wir sie: von unserem Elternhaus über die Krabbel- und Kindergartengruppe, die Schulklasse, den Ausbildungsbetrieb bis hin zur Liebesbeziehung, zur eigenen Familie, zum Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis, zur Nachbarschaft, zum Betrieb, zum Verein, zur Partei, zur Glaubensgemeinschaft, zu Mitbewohnern im Heim.

Liegt nicht auf der Hand, dass diese vielfältigen Vernetzungen entscheidend mitspielen, wenn wir erkranken – und keinesfalls außer acht gelassen werden dürfen, wenn Gesundheit wiederhergestellt werden soll? Müssten sie nicht stets mitbedacht werden, wenn Anamnesen vorgenommen und Therapiepläne erstellt werden? Ich verüble meinen Ärzten keineswegs, dass sie mein Kariesloch stopfen oder meinen gebrochenen Arm schienen, ohne mein Verhältnis zu meiner Mama zu hinterfragen. Aber je stärkere psychische Anteile eine Erkrankung aufweist, desto vordringlicher wird es, die sozialen Systeme zu durchleuchten und einzubeziehen, in denen sie entstanden.

In unserem Gesundheitswesen geschieht weithin: das krasse Gegenteil. Was passiert, sobald jemand zum Patienten wird? Er wird für krank erklärt, er muss in die Praxis oder in die Klinik, ihm werden Diagnosen gestellt und Medikamente verordnet, er hat sich therapeutischen Maßnahmen zu unterziehen. Begleiten ihn Angehörige, dann selten mehr als einer, und dies häufig bloß zu dem Zweck, ihm Langeweile und Ängste zu vertreiben, während er im Wartezimmer seines Termins harrt. Mit anderen Worten: Er wird aus seinem sozialen System herausgelöst und künstlich isoliert, so als handle es sich um ein defektes Bauteil aus einer ansonsten intakten Maschine. Und damit ist vorprogrammiert, dass weder ganz verstanden noch optimal behandelt wird, woran er leidet.

In der Medizin allgemein, ganz besonders aber in der Psychotherapie und Psychiatrie halten wir diese Vorgehensweise für einen unverzeihlichen Kunstfehler. Niemand kennt und versteht einen Patienten und seine Vorgeschichte besser als seine wichtigsten Bezugspersonen. Niemand hat mehr zu seinem körperlichen und psychischen Wohlergehen beigetragen, wie möglicherweise auch zu seinem Leiden – und wird es weiterhin tun. Niemand hat größeren Einfluss darauf, wie er mit seiner Diagnose, seinen Symptomen umgeht, wie auch mit den Ansichten, Empfehlungen und Verordnungen des Behandlers.

Insofern führt an einem systemischen Ansatz in der Medizin nichts vorbei – besonders bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen. Und deshalb gehört er zum Konzept unserer „Auswege“-Camps. Wir legen großen Wert darauf, dass Angehörige einen Patienten nicht bei uns „abliefern“, sondern dableiben; wir möchten sie befragen, von ihren Erfahrungen profitieren, ihre Einschätzungen berücksichtigen, sie mitberaten, mitbehandeln und als Kotherapeuten gewinnen. Hadern sie damit, einen unheilbaren, schwer behinderten Angehörigen betreuen zu müssen, so versuchen wir sie mit ihrem Schicksal zu versöhnen – dann steht nicht die Heilung eines Einzelnen im Vordergrund, sondern die Heilung seines primären Bezugssystems mit allen, die dazugehören. All das erhöht den Betreuungsaufwand erheblich, aber auch die Chance auf nachhaltige Fortschritte – nachzulesen in unseren Rückblicken auf alle bisherigen Camps.

Dazugehören heilt – und hält gesund

Einsamkeit ist nicht Alleinsein, sondern das Leiden daran. Hält es an, macht es krank, auch körperlich. Wie Studien zeigen, ist ein fehlendes soziales Netz nicht weniger schädlich als 15 Zigaretten am Tag. Auf Gesundheit und Lebenserwartung wirkt es sich ähnlich negativ aus wie massives Übergewicht oder Diabetes. Senioren, die sich einsam fühlen, bauen geistig und körperlich rascher ab – und sterben früher.

Stabile, verlässliche Beziehungen schenken uns demnach, was wir zum Schutz vor chronischer Krankheit und vorzeitigem Tod ebenso dringend benötigen wie frisches Wasser, reine Luft und nahrhaftes Essen: Vertrauen, Wertschätzung, Verständnis, Zuwendung, Zugehörigkeit, Geborgenheit, Orientierung, Sinn, bisweilen Liebe. Gute Sozialkontakte sind Balsam für die Seele. Ihre Bedeutung unterstreichen Altersforscher der Universität Erlangen-Nürnberg, nachdem sie 125 Neunzig- bis Hundertjährige untersuchten, die nicht pflegebedürftig waren, sondern ihren Alltag noch aus eigener Kraft meisterten: Neben körperlicher Aktivität, einem positiven Lebensgefühl und „hoher Willenskraft“ erwies sich als ausschlaggebend, „ob es zufriedenstellende, enge Vertrauensbeziehungen im Umfeld gibt“.

Herzliche Gemeinschaft zu erleben, zählt zu den Hauptfaktoren, auf denen die Erfolge der „Auswege“-Therapiecamps beruhen.

Quellen:
H. Wiesendanger/Stiftung Auswege (Hrsg.): Auswege – Kranken anders helfen (2015), S. 30 ff.: „Das Ganze sehen – Warum wir systemisch ansetzen“.

H. Wiesendanger/Stiftung Auswege: Heilzauber oder was? Das Erfolgsgeheimnis der „Auswege“-Camps (2014).

Frieder Lang u.a.: Leben in der zehnten Dekade (2018), i.V.

Bleiben Sie gesund


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