Skip to main content

English   Francais   Italiano   Russian        

SPENDEN   |   SHOP   |   NEWS

Saubere Luft


Keine Menschheitsgeneration lebte in schlechterer Luft als die gegenwärtige!

Was nützt es, Schadstoffen in Trinkwasser und Nahrungsmitteln auszuweichen, solange wir unentwegt welche einatmen? Keine Menschheitsgeneration lebte in schlechterer Luft als die gegenwärtige – im Freien und erst recht in Innenräumen, wo wir inzwischen neun Zehntel unserer Zeit verbringen.

Draußen

Hochhäuser verschwinden hinter einem grauen Schleier, nur noch schemenhaft sind ihre Konturen zu erkennen. Kinder haben noch nie blauen Himmel, noch nie eine weiße Wolke gesehen. Autos fahren tagsüber mit eingeschaltetem Licht. Passanten tragen Atemmasken. Solche verstörenden Bilder aus Chinas Hauptstadt Peking gehen alljährlich um die Welt, wenn dort wochenlang dichter Smog liegt. Anderswo scheint die „Airpocalypse“ unwirklich – doch zumindest in den Ballungsräumen der Industrienationen hat die Luftverschmutzung längst besorgniserregende Ausmaße erreicht. Jährlich ist sie für sieben Millionen Todesfälle verantwortlich, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO); in der EU sollen es 400.000 sein, in Deutschland 46.000 – mehr als Unfalltote im Straßenverkehr -, wie das Umweltbundesamt schätzt.

Beim Thema „Luftverschmutzung“ denken die meisten zuallererst an Autoauspuffe und Fabrikschlote. Unterschätzt werden weitere Dreckschleudern:

Müllverbrennungsanlagen. Einer neueren Studie zufolge1 verbrennen 40 Prozent des globalen Mülls in offenen Feuern, die gewaltige Mengen von Treibhausgasen und gesundheitsschädlichen Partikeln in die Luft blasen. Der schwarze, übelriechende Rauch enthält oft sehr große Partikel, Blei oder Gase, die mit neurologischen Krankheiten, Krebs und Herzinfarkten in Verbindung gebracht werden. Was passiert, wenn dieser Dreck in die Atmosphäre gelangt? Wo wird er hingetragen?

Seit dem VW-Skandal stehen Dieselfahrzeuge in der Kritik - dabei sind Autoabgase eine eher lächerliche Nebensache, gemessen an dem Ausstoß von Schiffen. Wie unfassbar viel Dreck sie produzieren, berechnete das maritime Ingenieurbüro Thiiink: Ein einziger Großfrachter – 400 Meter lang, 60 Meter breit, über 50.000 Tonnen Stahl, mehr als 15,000 Container an Bord - stößt demnach jährlich so viel schwefelhaltige Abgase und Partikel aus wie 130 bis 280 Millionen moderne Pkws. Das heißt, drei bis fünf Dreckschleudern nehmen es mit der globalen Automobilflotte auf. Die Zahlen muten unglaublich an, „sind aber realistisch“, bestätigt Dietmar Oeliger, Leiter der Abteilung Verkehrspolitik beim Naturschutzbund Deutschland (NABU).2

Auch Flugzeuge belasten die Umwelt immens mit Schadstoffen: Feinstaub, Stickoxide, Schwermetalle. Einer Studie der Universität Cambridge zufolge3 sterben, statistisch betrachtet, an ihren Abgasen jedes Jahr etwa 8000 Menschen früher als nötig.

Hauptbeteiligt an verschmutzter Luft sind erhöhte Konzentrationen von fünf Stoffen: Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide, Kohlenwasserstoffe, Feinstaub bzw. Schwebstoffe. Im Jahr 2007 lebten 61 Prozent der deutschen Bevölkerung in Regionen mit einer mittleren Feinstaubbelastung von über 20 Mikrogramm pro Kubikmeter – und damit über dem Richtwert, den die WHO zum Schutz der Gesundheit für unerlässlich hält. (In Peking lag er im November 2015 bei 324.) Mit der Atemluft gelangen besonders gefährliche Feinstaubpartikel, mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer, tief in die Atemwege und die Lunge, die kleinsten Teilchen sogar aus der Lunge ins Blut und von dort in andere Organe. Langfristig erhöht sich dadurch das Risiko von Asthma und anderen Atemwegserkrankungen - nicht nur bei den besonders gefährdeten Kindern, bei Schwangeren, Älteren und vorbelasteten Patienten. Auch die Lungenkrebsrate steigt.

„Was kann ich als Einzelner schon dagegen ausrichten?“, fragen viele. Insgeheim hoffen sie darauf, dass die Politik und der technologische Fortschritt das lästige Klimaproblem schon irgendwie richten werden. Und überhaupt: Was bringt es, auf ein teures Elektroauto umzusteigen und sein Zuhause wärmezudämmen, solange weiter Kohlekraftwerke gebaut werden? Der Einzelne bewirkt nichts – aber ohne den Einzelnen passiert nichts. Auflösen lässt sich diese Zwickmühle nur, indem möglichst viele Einzelne darauf aus sind, Verzicht zu üben und den mitverantworteten Schadstoffausstoß zu verringern. Würde man alle Treibhausgase, die ein Deutscher im Schnitt pro Jahr verursacht, in einen Ballon pressen, wäre dieser elf Tonnen schwer. Nach Berechnungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) sind „Emissions-Einsparungen von bis zu 40 Prozent für den Einzelnen ohne großen Komfortverlust gut möglich.“ Wenn 80 Millionen Deutsche dieser Empfehlung folgen, würde das immerhin 350 Millionen Tonnen CO2 sparen.

Welche Auswege bleiben sonst? Notfalls aufs Land ziehen. Politiker und Parteien wählen, die den Umweltschutz ernst nehmen – und Lippenbekenntnissen Taten folgen lassen. „Zum Klima-Fasten“ übergehen, d.h. selber mithelfen, den Schadstoffausstoß zu verringern: z. B. bei der Wahl des Verkehrsmittels, der Heizungsart, der Ernährung, bei Reisen, bei der Anschaffung von Elektrogeräten.

Drinnen

80 bis 90 Prozent seiner Zeit verbringt der Mensch in Wohnungen, Büros und sonstigen Innenräumen – und die sind, einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge, zehn- bis dreißigmal stärker belastet als die Luft draußen. Unter Dächern befinden wir uns in biochemischen Versuchslabors, in denen unkontrollierte Langzeittests stattfinden: Wie viele Schadstoffe, in welcher Konzentration und Expositionsdauer, verträgt ein Insasse, ehe er ernsthaft erkrankt? Die Liste ist beängstigend lang: Formaldehyd aus Laminaten, Spanplatten und Farben; biozide Wirkstoffe wie PCP, Lindan, DDT, Pyrethroide oder TBT in Holz-, Pflanzenschutz- und Insektenbekämpfungsmitteln; flüchtige organische Verbindungen (VOC) als Bestandteile von Lösungsmitteln, in Bau- und Renovierungsmaterialien, Klebern, Farben und Imprägniermitteln; Weichmacher und Flammschutzmittel in Kunststoffen und Lacken; Tenside, Bleichmittel und Polymere in Reinigungsmitteln; Benzylidenhaptanal und Ethyl-2-naphthylether in Duftstoffen; halogenierte Kohlenwasserstoffe in Lösemitteln und Abbeizern; polychlorierte Biphenyle (PCB) in Fugendichtmassen und Kondensatoren; Nanopartikel aus Baumaterialien, Druckern und Kopiergeräten; polycyclische Kohlenwasserstoffe (PAK) in Verbrennungsprodukten wie Tabakrauch; anorganische Gase wie Radon, Ozon und CO2. Auch wenn wir Wohnraumgifte nicht riechen, können sie Kopfschmerzen, Übelkeit, Reizerscheinungen an Augen und Atemwegen, Kreislaufbeschwerden und Allergien auslösen. Manche Substanzen reichern sich im Körper an und belasten ihn langfristig, etwa indem sie Leber, Nieren und Lunge schädigen. Darüber hinaus können sie ein diffuses Unwohlsein auslösen, Schwindelgefühle, Übelkeit, Schlaflosigkeit, Nervosität, Stressanfälligkeit, Erinnerungs- und Denkstörungen, Depressionen.

Meist zu kurz kommt in Diskussionen über Luftverschmutzung das Thema „Duftstoffe“. Immer mehr Geschäfte, Hotels und Kinos versuchen zum Verweilen zu animieren, indem sie ihre Räumlichkeiten beduften. Zum Einsatz kommen dabei rund 3000 verschiedene Substanzen, teils aus natürlichen Quellen wie Pflanzenteilen oder Tiersekreten, teils synthetisch aus dem Chemielabor. Bis zu 100 Einzelstoffe mixen Duftentwickler dabei zu einem einzigen Geruchseindruck. Da der Duft oft als Marketingelement für Produkte oder Hotelketten fungiert, wird seine Komposition streng geheim gehalten. Für Allergiker stellen die vermeintlichen Wohlgerüche, wie auch ausgedünstete Deos und Parfums von Leuten in ihrer Nähe, eine erhebliche Belästigung dar.

Noch seltener erörtert wird die Belastung der Raumluft durch Mikroplastikfasern, die sich aus Teppichen, Polstermöbeln, Vorhängen und Kleidung lösen und unsichtbar um uns herumschweben. Abertausende atmen wir täglich ein – ganz abgesehen von jenen, die wir über Trinkwasser und Nahrungsmittel zu uns nehmen. Sie reichern sich in unseren Organen an, mit verheerenden Folgen, wie Tierversuche befürchten lassen.

Ebenso tückisch sind noch winzigere Nanoteilchen, kleiner als ein Milliardstel Meter, die in immer mehr Produkten stecken – und sich aus ihnen lösen. Sie greifen das Immunsystem an, durchdringen Zellwände und lösen Entzündungen aus, die zu Krebs führen können. In ihrer Wirkung ähneln sie Asbest, jenem feuersicheren Werkstoff, der einst die Welt begeisterte, ehe er sich viel zu spät als Auslöser schwerer, oft tödlicher Lungenkrankheiten entpuppte. Das gewaltige medizinische Risiko ist längst bekannt, wird von euphorischen Forschern, dynamisch-innovativen Unternehmern und zukunftstechnologiegläubigen Politikern aber beharrlich kleingeredet. Bereits im Jahr 2008 hatten schottische Forscher berichtet: Nachdem sie Mäusen Nanoröhrchen aus Kohlenstoff in den Bauchraum gespritzt hatten, entwickelten die Tiere bösartige Tumore, die der berüchtigten Asbestose ähnelten. „Bei der Diskussion um Partikel aus Nanoprodukten,“ räumt der Toxikologe Mario Götz vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ein4, „bewegen wir uns weit unterhalb der 1,5 Milligramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft für akzeptabel am Arbeitsplatz hält.“

Beim Einrichten und Renovieren möglichst einfache, natürliche Materialien verwenden. Haushaltschemikalien, Spezialreiniger, Imprägniersprays, Schädlingsbekämpfungs- und Desinfektionsmittel usw. sparsam einsetzen. Nicht in geschlossenen Räumen rauchen (oder passiv mitrauchen). Mehrmals täglich lüften. Bei Verdacht Luft, Hausstaub und Materialproben von Fachleuten untersuchen lassen. Den Kauf eines guten Luftreinigers mit Nanopartikelfilter erwägen. Eventuell sanieren. Notfalls umziehen.

Anmerkungen:

1 Christine Wiedinmyer u.a.: „Global Emissions of Trace Gases, Particulate Matter, and Hazardous Air Pollutants from Open Burning of Domestic Waste“, Environmental Science & Technology 48 (16) 2014, S. 9523, doi: 10.1021/es502250z

2 Focus.de, 3.2.2016: „Dicke Luft auf hoher See“, https://www.focus.de/wissen/natur/wie-schiffe-die-luft-verpesten-die-luft-ist-nicht-rein-auf-hoher-see_id_5258156.html

3 Environmental Science and Technology 44/2010, S. 7736.

4 zit. nach Michael Miersch: „Nano klingt cool – und kann so schaden wie Asbest“, Die Welt, 28.7.2009, https://www.welt.de/gesundheit/article4208429/Nano-klingt-cool-und-kann-so-schaden-wie-Asbest.html

Lesetipps/Links:

Umweltbundesamt: "Luft"
Spiegel Online, 17.9.2015: "Luftverschmutzung - Feinstaub tötet drei Millionen Menschen pro Jahr"
Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft: „Wegweiser für eine gesunde Raumluft – Die Chemie des Wohnens“, Wien 5. Aufl. 2009

Bleiben Sie gesund


Mit unserem Online-Magazin AUSWEGE INFOS

auf dem Laufenden bleiben

Ihre Daten verwenden wir ausschließlich für den Versand des Online-Magazins und geben diese nicht an Dritte weiter. Sie können die Zusendung jederzeit abmelden. Dazu können Sie den entsprechenden Link im Magazin nutzen oder an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. schreiben. Hier finden Sie unsere Erklärung zum Datenschutz.