Schadstoffe in Schmuck
Sollten Verbraucher vorsichtshalber Billigware meiden und auf hochwertigen Schmuck ausweichen?
Schmuck soll zieren, und diesem Zweck dient er Menschen seit 100.000 Jahren. Dass Ringe und Ketten, Ohrclips und Piercings ihre Träger schleichend vergiften können, ist den Wenigsten bewusst – und den Herstellern in der Regel erst unangenehm, wenn Imageschäden und Verkaufsverbote drohen.
Das silbern glänzende, herzförmige Medaillon war nicht größer als ein Daumennagel. Doch einen vierjährigen Jungen aus Minneapolis kostete dieses billige Deko das Leben. Versehentlich hatte er im Februar 2006 den Anhänger verschluckt. Mit heftigem Erbrechen wurde er zwei Tage später ins Krankenhaus eingeliefert. Dort setzte sein Atem aus, er musste wiederbelebt werden. Ein Computertomogramm zeigte Ödeme im Gehirn. Am dritten Tag trat der Hirntod ein, am vierten starb der Kleine, Notfallpatienten feststellen. Am vierten Tag starb der Junge.
Als der Anhänger nach der Autopsie analysiert wurde, stellte sich heraus: Zu 99,1 Prozent bestand er aus Blei.
Der haarsträubende Einzelfall führte verstörend vor Augen: Aus Modeschmuck können hochgiftige Schwermetalle austreten. Mit entsprechenden Warnungen schreckte im Jahre 2012 das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), ein Jahr später auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) viele Konsumenten auf. Wie Analysen ergaben, lösen sich aus vielen Kettenanhängern, Armbändern und Ringen hohe Konzentrationen von Blei. Über die Haut gelangt es ins Blut. Dort hat es zwar eine Halbwertszeit von nur etwa 35 Tagen, d.h. nach dieser Zeit hat sich der Bleiwert bereits um die Hälfte verringert. Doch kann es auch in die Knochen gelangen, die es langfristig speichern. Halbwertszeit: fünf bis 30 Jahre. Aus diesen langlebigen Depots wird es beständig freigesetzt. Diese chronische Bleibelastung hemmt Enzyme, die an der Blutbildung beteiligt sind. Sie erhöht den Blutdruck, verursacht Darmkoliken, beeinträchtigt die Nierenfunktion, schädigt das Nervensystem. Intelligenz, Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen können darunter leiden, Verhaltensstörungen auftreten.
Lebensmittelchemiker gehen von einer hohen Dunkelziffer mittelschwerer Fälle aus, weil eine akute Bleivergiftung in ihren Symptomen einem Magen-Darm-Infekt ähnelt: Erbrechen, Magenkrämpfe, Verdauungsbeschwerden, blasse Haut.
Für Blei in Schmuck gilt seit September 2012 EU-weit ein Grenzwert von 0,05 Prozent des Gesamtgewichts des Schmuckstücks; somit dürften in einem zehn Gramm schweren Anhänger höchstens fünf Milligramm enthalten sein. Bei Kindern, die daran lutschen, knabbern oder das Teil gar verschlucken, sorgen schon weitaus geringere Mengen für bleibende Schäden in Gehirn. Prüfer des Bundesamts für Verbraucherschutz fanden in 32 von 262 Stichproben Bleiwerte deutlich oberhalb des Grenzwerts
Auch vor Cadmium warnt die Behörde: Bei 26 Proben, also jeder zehnten, lag der Gehalt oberhalb des Grenzwerts von 100 Milligramm pro Kilo. Vor allem Ware aus Südostasien enthielt gefährliche Mengen davon. Wie Blei, so kann auch dieses Schwermetall das Nervensystem, Nieren und Knochen schädigen, überdies unfruchtbar machen. Zwar darf seit Januar 2012 EU-weit kein Schmuck mehr in den Verkehr gebracht werden, dessen Metallteile mehr als 0,01 Masseprozent Cadmium enthalten. Doch gelten Ausnahmen: für Schmuck, der bereits auf dem Markt ist, wie auch für Antiquitäten-Schmuck.
Sollten Verbraucher vorsichtshalber Billigware meiden und auf hochwertigen Schmuck ausweichen? Auch in ihm entdeckte das BVL Ende 2015 bedenkliche Mengen von Schadstoffen; der Anteil der beanstandeten Artikel war gegenüber einer Kontrolle sieben Jahre zuvor sogar deutlich gestiegen. Selbst eine Weißgold-Legierung mit 18 Karat enthielt bis zu 20 Prozent Nickel. Es soll Schmuck widerstandsfähiger machen; auch Münzen, Spielzeuge und Tätowierfarben enthalten es. Sobald Nickel in die Haut übergeht, wird es gesundheitlich heikel. Die abgegebenen Nickel-Ionen sind zu winzig, als dass das Immunsystem sie überhaupt erkennen könnte. Im Körper verbinden sie sich aber mit Proteinen, wodurch sie zu Allergenen werden. Es kommt zu einer Sensibilisierung, woraufhin der Körper künftig auch auf geringe Nickelmengen heftig reagiert. Als Grenzwert gilt die „Nickelfreisetzungsrate“, sie liegt aktuell bei einem halben Mikrogramm pro Quadratzentimeter. Viele Accessoires überschreiten dieses Limit um das Zehnfache. Über 17 Prozent aller getesteten Ohrstecker und Piercing-Artikel beanstandete die Bundesbehörde, außerdem fünf Prozent der untersuchten Gürtelschnallen, Verschlüsse und Hosenknöpfe.
Gefährlich ist auch Chrom, das vor allem zum Gerben von Leder verwendet wird. Schon kleinste Mengen können allergische Reaktionen hervorrufen. Eine anhaltende Chrombelastung kann Asthma und Bronchitis auslösen, eine Entzündung des Magen-Darm-Trakts begünstigen, Leber und Nieren schädigen, zu Blutarmut führen. Handschuhe, Lederarmreifen und andere Produkte mit häufigem Hautkontakt dürfen EU-weit höchstens drei Milligramm Chromsalz pro Kilogramm Leder enthalten. 16 Prozent von 386 analysierten Lederproben lagen deutlich darüber, teilweise um mehr als das Doppelte.
Vorsichtshalber auf Naturschmuck ausweichen? Dann mit Bedacht. Vor allem aus Indien und Afrika importieren Händler gerne Halsketten und Armbänder aus den Samen des Paternosterstrauchs. Wurden sie als Perlen auf eine Schnur gezogen, weisen die Schalen in der Regel Löcher auf. Aus ihnen tritt das Pflanzengift Abrin aus – bis zu 75 Mikrogramm davon stecken in jedem einzelnen Samen. Gerät das Gift unter die Haut, kann es heftige Entzündungen der Magenschleimhaut auslösen, Durchfall, Erbrechen und Krämpfe hervorrufen, zu Nieren- und Kreislaufversagen führen.
Unter allem Körperschmuck ist ein Tattoo wohl der medizinisch riskanteste. Die Farbstoffe, die dabei in die Haut geraten, verbleiben dort rund um die Uhr, meist für Jahre und Jahrzehnte, oft bis ans Lebensende. Ein Großteil enthält Quecksilber, Titan, Kupfer, Chrom, Eisen, Cadmium, Kobalt, Chrom und Nickel. Die Zeitschrift Öko-Test fand 2012/13 in jeder dritten von 20 untersuchten Tattoo-Farben krebserregende Stoffe wie PAK (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe), Nitrosamine, Formaldehyd und Konservierungsmittel wie Benzoisothiazolinon. Die gemessenen Mengen waren derart hoch, dass die betreffenden Farben längst mit einem Verkaufsverbot hätten belegt werden müssen.1 Sie wirken allergen, erhöhen oxidativen Stress, vermindern die Aktivität der Mitochondrien, verändern das Erbgut, begünstigen Krebs.
„Kann ich mir ja irgendwann weglasern lassen“, beruhigen sich manche. Aber diese Entfernung kann heikel sein: Bei einer Laserbehandlung zerfällt das Tattoo-Pigment Phthalocyanin-Blau in drei hochgiftige Substanzen: Benzol, Benzonitril und Blausäure, das erhebliche Zellschäden anrichten kann. Bis zu 30 Mikrogramm Blausäure pro Milliliter können freigesetzt werden – davon geht ein unbekannter Anteil ins Blut über. Bereits ein Spiegel von fünf Mikrogramm pro Milliliter Blut kann tödlich sein.2
Weiterhin fehlen Langzeitstudien über mögliche Gesundheitsschäden. Wer sich heute tätowieren lässt, wird vielleicht erst in 20 oder 30 Jahren zu spüren bekommen, ob er es besser hätte bleiben lassen sollen. Wissen wird er es nie: Wer vermag nach so langer Zeit ein Tattoo noch als mögliche Krankheitsursache zu identifizieren?
Dass er darauf gefasst sein muss, legt eine 2015 in der Fachzeitschrift Contact Dermatitis veröffentlichte Umfrage unter 300 Tätowierten im New Yorker Central Park nahe. Immerhin sechs Prozent berichteten von Gesundheitsproblemen, die erst Jahre nach dem Stechen auftraten und fortan anhielten: bleibende Infektionen und Schwellungen, Allergien und Knötchen unter der Haut.3
Noch am unbedenklichsten ist besonders hochwertiger Schmuck aus Gold oder Platin, denn diese Metalle lösen kaum Allergien aus. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Vorsicht ist bei Silber angebracht, weil es häufig mit anderen Metallen legiert, d.h. gemischt wird, insbesondere mit Nickel. Grundsätzlich gilt: Je reiner das Metall, desto geringer das Allergierisiko. Es muss aber nicht teures Echtmetall sein. Wer auf Nickel empfindlich reagiert, kann auf Schmuck aus Kupfer oder Titan zurückgreifen.
Die preiswerteste und weiseste Alternative: im Zweifelsfall auf Schmuck verzichten. Auf die eigene natürliche Schönheit vertrauen. Sich eine persönliche Note lieber immateriell verleihen. Nicht jedem Modetrend hinterherlaufen. Sich vom kulturellen Zwang zum Vorzeigen teurer Statussymbole befreien. Das Sein über das Haben stellen. „Denn aller Schmuck versteckt das Geschmückte“, wie Friedrich Nietzsche feststellte.
Quellen:
1 Öko-Test 1/2013: „Tattoofarben – Abwiegeln, wegschieben, vertuschen“, https://www.oekotest.de/kosmetik-wellness/20-Tattoofarben-im-Test_101428_1.html
2 Bundesinstitut für Risikobewertung, "Übersicht der Präsentationen zum BfR-Symposium: First International Conference on Tattoo Safety am 6. Juni 2013", Erste internationale Konferenz zu Tattoo-Sicherheit am 6. und 7. Juni 2013.
3 M. C. Leger u.a.: "Self-reported adverse tattoo reactions: a New York City Central Park study”, Contact Dermatitis 73 (2) 2015, S. 91-99, DOI: 10.1111/cod.12425, https://www.researchgate.net/publication/277336901_Self-reported_adverse_tattoo_reactions_a_New_York_City_Central_Park_study
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