Zwangsstörung
“Hat keine Macht mehr über sie”
Seit Herbst 2020, damals 15 Jahre alt, klagt Ella* über Denk- und Verhaltenszwänge, die sie zunehmend belasten. Im November 2022 kam sie deswegen als Notfall ins Universitätsklinikum Frankfurt. Als Auslöser gibt Ella den Verlust eines Freundes an, der 16-jährig bei einem Zugunglück umkam; er war ihre Jugendliebe gewesen, sie kannten einander seit ihrer frühen Kindheit. Laut ärztlichem Befundbericht „gelingt es ihr unter der aktuellen Zunahme ihrer Zwänge – Probleme, Wasser zu sich zu nehmen; Duschen nicht mehr möglich; exzessives Händewaschen – kaum noch, ihren Alltag zu bewältigen.” Zwanghaft zählte sie unentwegt bestimmte Objekte.
Immer wieder wähnte sie sich von einer inneren Stimme gequält: einem Teufel, der sie zu Selbstverletzungen und Selbststrangulationen animierte, damit ihr verstorbener Freund im Jenseits nicht leiden müsse.
Nach Angaben der Mutter wirken mehrere Belastungsfaktoren. Ella war fünf, als ihre Eltern sich nach heftigem Streit trennten. Mit der Mutter musste sie von Stuttgart nach Frankfurt umziehen, womit sie ihr vertrautes Umfeld und alle Freunde zurückließ. Mit acht verlor sie ihren über alles geliebten Hund. Im selben Jahr 2012 erlitt ihre Oma, an der sie besonders hing, einen schweren Schlaganfall und musste ins Pflegeheim. Ihren Vater sieht Emmiele „weniger als einmal pro Jahr“, wie die Mutter angibt; der Kontakt beschränke sich auf gelegentliche Telefonate.
Von Januar 2021 bis April 2023 schluckte Emmiele Sertralin 200 mg – brav gemäß ärztlicher Empfehlung, „das SSRI bis zur Maximaldosis aufzudosieren“. Wegen starker Nebenwirkungen setzte sie das Antidepressivum allerdings ab.
Ehe die Zwänge einsetzten, war Emmiele eine hervorragende Schülerin gewesen, die Beste in der 9. Klasse. Sie sang gerne und sehr gut, schrieb selbst Songs, träumte vom Gewinn eines Gesangswettbewerbs, einer Karriere als Model oder Meeresbiologin. Sie reist gerne, liebt fremde Kulturen, ist enorm sprachbegabt. Sich gehenzulassen, liegt ihr fern.
Könnte ein “Auswege”-Therapiecamp der jungen Frau helfen? Im Sommer 2024 nahm Ella erstmals daran teil, begleitet von ihrer Mutter – und stabilisierte sich. “Hier fanden die besten Therapiesitzungen statt, die ich jemals hatte”, so notierte sie am Ende in einem Patienten-Fragebogen. “Mein Waschzwang hat sich verbessert, der Zählzwang ebenfalls.” Ihre Mutter bestätigt: “Ellas Zwangsstörung hat sich hier kaum bemerkbar gemacht.” Zum “Auswege”-Therapeutenteam zählte ein Facharzt für Psychiatrie, der Ella half, mit der bedrohlichen Stimme klarzukommen: “Am Ende”, so protokollierte er, “erkannte Ella, dass dieser Teufel keine Macht mehr über sie hatte.”
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Eine notwendige Anmerkung: Das Phänomen der „Fernheilung“, zu der es hier anscheinend kam, ist tatsächlich überzeugend dokumentiert, auch in zahlreichen wissenschaftlichen Studien kam es zum Vorschein, s. hier Hilfesuchenden sollte allerdings klar sein: Wundersame Erfolge durch „geistiges“ Fernbehandeln, wie in den geschilderten Fällen, sind seltene, unvorhersehbare Ausnahmen; viel häufiger kommt dabei enttäuschend wenig bis nichts heraus, was verständlicherweise kein Anbieter an die große Glocke hängt. Ob eine Behandlung überhaupt stattfindet und wieviel Aufwand ein „Heiler“ dabei treibt, können Klienten nicht überprüfen – es sei denn, sie sind währenddessen per Telefon oder Webcam mit ihm verbunden. Geschäftemachern eröffnet sich hier eine unschlagbar bequeme Einkommensquelle. Die verlangten Preise stehen häufig in krassem Missverhältnis zur erbrachten Arbeit und der erforderlichen Qualifikation, gelegentlich liegen sie sogar über den Honoraren von Ärzten und Rechtsanwälten. Dies spricht dafür, bei Geistigem Heilen persönlichen Kontakt zu bevorzugen – und bei Abzocke nach Alternativen zu suchen, z.B. im Therapeuten-Netzwerk der IVH.
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